Wie können christliche Menschen respektvoll Andersgläubigen begegnen?

Wie kann so ein für alle gewinnbringender Dialog entstehen?

Ein Blogbeitrag von Constanze Kobell

 

In dem theologischen Fach „Fundamentaltheologie“ geht es heutzutage auch um diese Frage.

Es geht nicht mehr darum, den eigenen Glauben als überlegen darzustellen, sondern um die Versöhnung mit Andergläubigen.

Wie kann das gelingen?

Eine mögliche Antwort bietet die Bibel.

Sie kann, zeitgemäß dargeboten, ein Ort des versöhnenden Dialogs sein.

Mit Versöhnung meine ich allerdings nicht nur die Versöhnung mit ursprünglich Andersgläubigen. Ich meine damit auch die Versöhnung mit den Menschen, die vom christlichen Glauben abgekommen sind, weil sie sich von der Kirche ausgeschlossen fühlten.

 

Deshalb möchte ich in diesem Beitrag eine Neuerscheinung auf dem Buchmarkt vorstellen,

die meiner Meinung nach als versöhnende und gleichzeitig den Glauben erklärende Schrift gesehen werden:

Die „Alle Kinder Bibel“ von Andrea Karimé und Anna Lisicki-Hehn.

 

Warum Kinderbibeln wichtig sind

 

Ich halte Kinderbibeln für enorm wichtig, obwohl sie aufgrund ihrer Kürzungen eigentlich nicht als Bibeln bezeichnet werden können. Trotzdem, oder vielleicht gerade deshalb, ist eine Kinderbibel oft das erste und einzige Buch über Gott und die christliche Hoffnung, das ein Kind erhält. Kinderbibeln werden oft gekauft, das zeigt die hohe Trefferquote von über zweihundert deutschsprachigen Büchern bei Amazon, die christliche Inhalte für Kinder darbieten. Auch bei vielen Erwachsenen findet sich noch die vor langer Zeit erhaltene Kinderbibel im Regal. Oft haben die Geschichten in einer Kinderbibel die Theologie der Kinder und die der Vorlesenden nachhaltig geprägt.

Doch auch Kinderbibeln können auf Kinder und Vorlesende abschreckend wirken.

Denn gerade in Kinderbibeln werden biblische Geschichten oft so dargestellt, dass sie verletzend wirken können.

Die zentrale Bedeutung des Judentums für die Christenheit ist beispielsweise selten ausreichend dargestellt.

Auch Geschichten mit starken und aktiv handelnden Frauen, wie sie in der Bibel durchaus vorhanden sind, finden sich in Kinderbibeln selten.

So fehlen gerade in Kinderbibeln oft Vorbilder für Mädchen.

 

Eine zentrale Rolle bei Kinderbibeln spielt auch die Bildsprache.

Leider bilden die Illustrationen selten die in den biblischen Texten beschriebene Wirklichkeit hab, sondern zeigen gerne ein eurozentrisches Szenario.

Beispielsweise sind in einigen Kinderbibeln immer noch alle Handelnden weiß. Das kann auf People of Color abschreckend und verletzend wirken, denn es ist eine Falschdarstellung. Die biblischen Geschichten spielen in Afrika und im Mittelmeerraum. Dort leben mehrheitlich People of Color. Wenn man die Handelnden in der Bibel durchgehend als weiß darstellt, hat das kolonialistische Züge und kann als rassistisch gesehen werden.

 

Ich habe mir im größten Buchladen Münchens alle zehn ausliegenden Kinderbibeln angesehen. Die von mir beschriebenen problematischen Aspekte fanden sich mehr oder weniger in allen ausliegenden Kinderbibeln. Daher ist naheliegend, dass die Geschichten in vielen Kinderbibeln nicht zu einem versöhnenden Dialog mit Andersgläubigen und People of Color beitragen. Ich weiß: Für eine fundierte wissenschaftliche Aussage hätte ich alle derzeit erhältlichen Kinderbibeln im deutschsprachigen Raum untersuchen müssen. Doch mein Vorgehen kann zumindest einen Trend zeigen.

 

Die „Alle Kinder Bibel“

 

Die Macherinnen und Macher der „Alle Kinder Bibel“ wollten genau diesen versöhnenden Dialog. Sie wollten eine Kinderbibel gestalten, die alle Menschen anspricht.

Der entscheidende Impuls für dieses Buch kam von der Theologin Sarah Vecera. Sie ist Koordinatorin für den Schwerpunkt „Rassismus und Kirche“ bei der Vereinigten Evangelischen Mission.

Frau Vecera ist of Color und die Autorin des Buchs: „Wie ist Jesus weiß geworden? Mein Traum von einer Kirche ohne Rassismus“.

Genau diese Sarah Vecera musste im März 2023 bei einer Lesung in Halle vor einem gewalttätigen Angreifer geschützt werden.

Solche Vorfälle zeigen, wie wichtig es ist, über den Glauben zu sprechen und Missverständnisse und Falschdeutungen der Bibel zu erklären.

In der Fundamentaltheologie werden Glaubensinhalte durch die Vernunft begründet. Wer vernünftig denkt, und die Aussagen in der Bibel untersucht, dem muss klar sein, dass Jesus nicht weiß gewesen sein kann und dass wir auch in seinem Sinne immer gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit aufstehen müssen.

 

Auf der Online-Vorpremiere der „Alle Kinder Bibel“ im März 2023 erfuhr ich von Andrea Karimé und Sarah Vercera viel über die Vorgeschichte dieser Kinderbibel:

 

Das Team der Vereinigten Evangelischen Mission  ging von der rationalen Beobachtung aus, dass unsere Gesellschaft immer vielfältiger wird, daher muss eine Kinderbibel vielfaltssensibel und inklusiv sein. Alle Kinder und alle Vorlesenden sollten sich davon angesprochen fühlen.

 

 

Dementsprechend wählten sie mit Andrea Karimé eine Autorin für das Projekt aus, deren Kinderbücher sich durch geschlechtergerechte und diskriminierungssensible Sprache auszeichnen.

Das gleiche gilt für die Illustratorin Anna Lisicki-Hehn.

 

Wo kann die „Alle Kinder Bibel“ versöhnend und erklärend sein?

 

In diesem Kapitel möchte ich exemplarisch vier Punkte erwähnen, die in meinen Augen das Besondere dieser Kinderbibel gut zum Ausdruck bringen.

 

 

 

1.    Wertschätzung des Judentums

 

Die „Alle Kinder Bibel“ ist in das 1. und das 2. Testament aufgeteilt, nicht in Altes und Neues Testament. Diese Bezeichnung ist die erste, sofort auffällige Wertschätzung.  Sie ist zugleich ein deutliches Statement, dass das Christentum aus dem Judentum entstanden ist. In der Erzählung „Wie Jesus stirbt“ laute der erste Satz: „Jesus war Jude.“ 
In dieser Deutlichkeit ist diese Aussagen selten zu lesen. Das Buch versucht auch, die hebräische Sprache bekannt zu machen. Daher heißt spricht sie beispielsweise von Noach und nicht von Noah.

 

2.    Wertschätzung von Frauen

 

Die katholische Kirche wirkt auf viele Mädchen und Frauen abschreckend, da diese durch das Kirchenrecht diskriminiert werden und deshalb z.B. von Weiheämtern ausgeschlossen sind. Auch biblische Erzählungen, die meist von Männern verfasst wurden, können für Frauen abschreckend oder entmutigend wirken, denn auch hier haben Frauen meist eine untergeordnete Rolle. Doch in den christlichen Urgemeinden waren Frauen gleichberechtigt.

In der „Alle Kinder Bibel“ handeln viele Geschichten von starken Frauen. An manchen Stellen werden auch die Rollen von Frauen aufgewertet, die in der biblischen Erzählung eher klein sind, wie die der Hebammen Schifra und Puwa.

Dem patriarchalen Bild von Gott als altem Mann mit weißem Bart tritt die Autorin bewusst durch genderneutrale Formulierungen entgegen, um ein anderes Gottesbild anzuregen. So liest man an manchen Stellen beispielsweise „dein*e Gott“. Man kann darüber streiten, ob das sprachlich schön oder korrekt ist. Doch diese Formulierung lädt alle dazu ein, über das Bild nachzudenken, das wir von Gott haben. Das wiederum sind fundamentaltheologische Gedanken. 

 

3.    Wertschätzung intersexueller Personen

 

Viele intersexuellen Personen fühlen sich von der katholischen Kirche (und auch von manchen anderen Glaubensrichtungen) ausgeschlossen. Denn nach dem Wortlaut der Bibel hat Gott nur Frauen und Männer erschaffen. So steht es auch verkürzt in den meisten Kinderbibeln. Diese machen nicht deutlich, dass Gott auch alles erschaffen hat, was sich zwischen diesen beiden Polen befindet.

Diese aktuelle Debatte, ob und wie viele Geschlechter Gott erschaffen hat, verdeckt oft die viel wichtigere Botschaft: Gott hat Menschen erschaffen, die unterschiedlich sind und sich in ihrer Unterschiedlichkeit ergänzen sollen.

In der „Alle Kinder Bibel“ ist das ganz einfach erklärt.

Frei nach Genesis 1 steht da:

„Am sechsten Tag schuf Gott die Tiere auf dem Land.

Und die Menschen.

Und alle waren verschieden.

Und alle waren besonders.“

 

4.    Wertschätzung des Islam

 

Der modernen Fundamentaltheologie ist interreligiöser Dialog auf Augenhöhe sehr wichtig. Obwohl die Bibel vor dem Islam entstand, schafft es die „Alle Kinder Bibel“, auch hier eine Brücke zu schlagen. So kann dieses Buch auch eine Einladung für muslimische Kinder und Vorlesende sein, denn es stellt heraus, dass Hagars Sohn Ismail das „Volk der Araber*innen“ begründete.

 

Außerdem ist ein Großteil der Figuren in der Bibel als Person of Color gezeichnet, was darauf hinweist, wo die Wiege des Christentums war und dass wir alle Geschwister sind.

 

Kann die „Alle Kinder Bibel“ auch abschreckend wirken?

 

Sicher gibt es auch in der „Alle Kinder Bibel“ noch Inhalte, die exklusivistisch oder rassistisch empfunden werden können. Dies ist den Macherinnen und Machern des Buchs bewusst. Daher ermutigen sie die Leserinnen und Leser im Vorwort, Verbesserungsvorschläge einzureichen, die dann gegebenenfalls bei der nächsten Auflage eingearbeitet werden.

 

Die „Alle Kinder Bibel“ kann auch abschreckend auf Gläubige wirken, die eine andere Darstellung der biblischen Geschichten liebgewonnen haben. Die Macherinnen und Macher der „Alle Kinder Bibel“ stellen deshalb online Informationsmaterial bereit, damit alle Menschen nachvollziehen können, weshalb die „Alle Kinder Bibel“ derart gestaltet wurde.

Doch sie erheben keinen dogmatischen Anspruch.

Sie sehen diese Kinderbibel als eines von vielen Angeboten in einer vielfältigen Gesellschaft.

Wem die Darstellungen in dieser Kinderbibel nicht gefallen, wird einfach eine anders gestaltete Kinderbibel wählen.

Auch das ist ein Ausdruck von Vielfalt in unserer Gesellschaft.

 

 

Karimé, A. & Lisicki-Hehn, A. (2023). Alle-Kinder-Bibel: Unsere Geschichten mit Gott. Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Verlag.

 

Der Blogartikel ist aus diesem Essay entstanden:

Die Verteidigungshaltung der Fundamentaltheologie – abschreckend für Andersgläubige? Diskutieren Sie.

 

Essay zur Veranstaltung:
Einführung in die Systematische Theologie. Grundkurs Theologische Propädeutik

Prof. Dr. phil. Margit Wasmaier-Sailer

Eingereicht von Constanze Kobell

FS 2023

Theologische Fakultät der Universität Luzern

Institut für Fundamentaltheologie